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Ein Abendessen in Rom

Weltgeschichte in einer Mahlzeit

Erschienen am 21.11.2023
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783887474096
Sprache: Deutsch
Umfang: 240 S.
Format (T/L/B): 2.3 x 22 x 15 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

»Ein Abendessen in Rom« ist ein ganz besonderes, sehr inspirierendes Buch übers Kochen und Essen. Ausgehend von der traditionellen Speisekarte in seinem Lieblingslokal »La Carbonara« am Campo de`Fiori, schreibt Andreas Viestad über das Brot, über den Getreideanbau; über das daraus entstehende römische Weltreich, über das Salz in den verschiedensten Regionen der Welt, über neue Handelswege und alte Kriege in Europa und der ganzen Welt, über den Wein, das Öl, den Pfeffer und den Zucker - und darüber, wie diese Nahrungsmittel und Gewürze uns verändert und bis heute geprägt haben. Eine originelle, gut recherchierte und abenteuerliche Reise durch die kulinarische Geschichte der Menschheit.

Leseprobe

Kaum habe ich mich gesetzt, wird der Brotkorb auf den Tisch gestellt. Der Kellner Angelo läuft auf dem Weg zur Terrasse an mir vorbei und wirft mit einer fast nicht wahrnehmbaren Handbewegung den Korb in meine Richtung, sodass er mitten auf dem Tisch landet. In vielen Restaurants in Italien muss man für Brot und Gedeck separat zahlen, es heißt pane e coperto und beträgt in der Regel zwei Euro pro Person. Diese Praxis ist verhasst bei den Restaurantgästen, die der Ansicht sind, dass man coperto eigentlich mit »wir haben dich übers Ohr gehauen« übersetzen müsste. In Rom ist es jetzt verboten, Coperto zu verlangen, aber egal, ob man bezahlen muss oder nicht, häufig ist das Brot, das man serviert bekommt, nichtssagend. Manchmal ist es sogar in Plastik verpackt und leblos wie Pappe. Das ist bei dem copertofreien Brot im La Carbonara nicht der Fall. Es ist luftig und fluffig, mit genau dem richtigen Widerstand beim Kauen, mit einer krossen Kruste und einer weichen, etwas zähen Krume. Das Brot wird im Nebenhaus gebacken, bei Forno Campo de Fiori, eine der wenigen traditionellen Bäckereien, die die Invasion der großen Industriebäckereien überlebt haben, von denen Italien nun dominiert wird. Meine Wohnung liegt im Häuserblock nebenan und verfügt über einen Balkon zum Platz. Morgens stehe ich manchmal auf dem Balkon und betrachte die Menschen, wenn ich meinem ersten Kaffee trinke. Sieht man sich den Platz von oben an, bemerkt man, wie die Laufrichtung der Menschen sich mit einem Mal ändert, wenn die Bäckerei um halb acht öffnet - wie ein Damm oder ein See, der einen neuen Ablauf bekommt. In der Bäckerei Forno Campo de Fioro ist es immer voll. Tagsüber wechselt das Angebot, von Cornetti, Keksen und Pizza alla Romana - ein dünnes, pizzateigartiges Brot mit Mortadella- am Morgen bis hin zu meterlanger Pizza al taglio, sorgfältig hergestellten Arten von süßem Gebäck und mehreren verschiedenen Broten, wenn die Bäckerei am Nachmittag wieder öffnet. Die Kundschaft besteht, wie überall im Centro Storico, aus einer Mischung aus Römern und Touristen. Doch obwohl die Touristen ein bedeutender und vermutlich erwünschter, ja, essentieller Teil der Kundenbasis der Bäckerei sind, wird so getan, als gäbe es sie nicht. Es wird ausschließlich Italienisch gesprochen. Und damit nicht genug: So gut wie alle Kunden, die zum ersten Mal die Bäckerei betreten, haben Probleme mit dem komplizierten System der Bestellung und Bezahlung. Trotzdem gibt es keinerlei Versuche, es zu vereinfachen oder zu erklären. Jedem neuen Kunden, der unsicher ist, wird mit mürrischer Ungeduld begegnet, als wäre er der Erste, dem es schwerfällt zu begreifen, wie man sich zu verhalten hat. Bestellen hier, bezahlen dort, die Ware wird an einer dritten Stelle abgeholt. Das weiß doch jeder! Kein Grund, es zu erklären oder mit einem Schild darauf hinzuweisen. Ich weiß nicht, wie viele Male ich selbst »dieser Idiot« war, der alle anderen aufhält, weil ich vergessen habe, dass man in einer Bar erst bezahlen und dann seinen Espresso entgegennehmen muss, während man in einer Bäckerei erst bestellen und dann bezahlen muss. Erst danach bekommt man die Ware gegen Vorzeigen der Quittung ausgehändigt. Dieser Widerwille, Teil der englischsprachigen, globalisierten Gemeinschaft zu werden, in der sich unkompliziert einkaufen lässt, in der es möglich ist, Kaffee und Milch auch am Abend zu besorgen und in der Geschäfte nicht plötzlich mitten am Tag für ein paar Stunden schließen, ist ein Quell unendlicher Frustration für die in Rom lebenden Ausländer, die ich kenne, ja, tatsächlich auch für viele Italiener. Gleichzeitig gibt diese Haltung der Stadt auch ihre besondere Prägung. Die stolze Aufsässigkeit hat durchaus etwas Attraktives, zumindest, wenn man nicht jeden Tag damit leben muss. Dass es aber auch zu einem Gefühl des Ausgegrenztseins führen kann, spürt man sofort, wenn man mit schamroten Wangen dasteht, weil man als Bäckereikunde einen Ablauffehler gemacht hat und vor der versammelten Kundschaft einen Rüffel bekommt. Sobald man das System jedoch gelernt hat, glaubt man, es meisterhaft zu beherrschen. Wenn ich jetzt mein Cornetto kaufe, sehe ich nachsichtig auf die amerikanische Erstkundin, die alles falsch macht. Ist sie freundlich und hilflos, helfe ich ihr. Ist sie aber arrogant und vorlaut, bleibe ich zusammen mit den anderen Eingeweihten wie ein Römer unter Römern ungerührt in der Schlange stehen. Aus dem gleichen Grund wie an anderen Orten ist Brot in Rom fester Bestandteil einer Mahlzeit: Es ist das universale Lebensmittel unserer Kultur. Vor einigen Jahren arbeitete ich in Simbabwe. Dort ist sadza, eine Art klebrige Maissuppe, das Grundnahrungsmittel, das die Menschen jeden Tag essen, häufig sogar mehrmals am Tag. Nach einer Weile war ich es leid, Tag für Tag sadza zum Mittagessen zu bekommen, daher nahm ich stattdessen ein paar belegte Brote mit. »Was ist eure Hauptspeise in Norwegen?«, fragte einer meiner Kollegen, fasziniert und bestürzt darüber, dass es ein Land gibt, in dem sadza nicht geliebt wird. »Wir haben keine derartige Hauptspeise wie ihr«, antwortete ich und begann aufzuzählen, was in meinem Heimatland alles gegessen wird: Kabeljau, Lachs, Lamm, Kohl, Schweinefleisch sowie Wild wie Elch und Rentier. Eine Menge verschiedener Dinge. Was wir mögen und worauf wir Lust haben, sei auch abhängig von der jeweiligen Saison, erklärte ich. Ein anderer Kollege brach in Gelächter aus. »Du nimmst uns doch auf den Arm! Ihr esst Brot. Zum Frühstück, als Zwischenmahlzeit, zum Mittagessen und zum Abendessen. Ihr seid abhängig vom Brot! Sieh doch nur, was du da vor dir hast, Mann!« Beschämt blickte ich auf mein Butterbrotpaket. Mein ganzes Leben habe ich jeden Tag Brot gegessen. Normalerweise esse ich es tatsächlich mehrmals am Tag, zum Frühstück, zum Mittagessen, und manchmal sogar zwischen den Mahlzeiten. Häufig ist es langweilig, und ich denke oft, ich sollte etwas Interessanteres essen. Aber durch Brot funktioniere ich. So ist es seit vielen hundert Jahren in Norwegen gewesen. Und seit über tausend Jahren hier in Rom. Im Restaurant ist Brot des obligatorische Zubehör, das den größten Hunger stillen soll oder dafür sorgt, dass die letzten Reste der Pasta- oder Bratensauce, die nach dem Fleisch noch übrig ist, aufgetunkt werden können. Am Nebentisch hat eine Frau in einer Gruppe von Freunden gegrillten Wolfsbarsch bestellt, das dezidiert teuerste Gericht des Restaurants. Die übrigen begnügen sich mit einem einfachen Pastagericht. Isst man auswärts, verlangt die Tradition pagare alla romana, also auf römische Art zu bezahlen. Das heißt, alle bezahlen den gleichen Anteil der Rechnung, es wird nicht auseinander gerechnet, wer wieviel gegessen oder getrunken hat. Vermutlich wissen alle, dass sie den exklusiven Geschmack ihrer Freundin mitbezahlen müssen. Einer nach dem anderen taucht ein Stück Brot in die Mischung aus Fischfond, Öl und Zitronensaft, die zu dem Fisch serviert wird. Wenn sie schon bezahlen müssen, wollen sie zumindest probieren. Brot und Korn haben in der Geschichte Roms eine zentrale Rolle gespielt. Das Getreide war nicht nur ein Lebensmittel, sondern die Voraussetzung für die Entwicklung der Stadt, ja, tatsächlich für die Entwicklung des gesamten römischen Reichs. Die Geschichte der Stadt Rom beginnt ihrer Legende nach mit der Ankunft einer kleinen Gruppe von Menschen an der Westküste des Landes, des heutigen Italiens. »Waffen besing ich«, schreibt der Dichter Vergil zu Beginn des römischen Nationalepos Aeneis, »und ihn, der zuerst von Trojas Gestaden durch das Geschick landflüchtig Italien und der Laviner Küsten erreicht, den lange durch Meer und Länder umhertrieb Göttergewalt ob des dauernden Grolls der erbitterten Juno. Vieles erduldet er auch im Krieg, bis die Stadt er gegründet. Und die Penaten gebracht nach Latium, dem die Latiner, Albas Väter, entstammt und Roms hochtragende Mauern.« Die Geschichte beginnt damit, dass der Königssohn Aeneas und sein Gefolge sich in der ...

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