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Mit einer Nadel bloß

Über meine Mutter

Erschienen am 12.02.2007
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783442154104
Sprache: Deutsch
Umfang: 158 S.
Format (T/L/B): 1.3 x 18.4 x 12.6 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

"Der Anspruch seiner Mutter an ihn war deutlich: 'Wenn du lernst, bleibst du auf der Schule, sonst kannst du Metzger werden.' Mario Adorf ist bekanntlich kein Metzger geworden." Nürnberger Zeitung "Ich wollte keine Schnulze schreiben nach dem Motto: Ach, mein liebes Mütterlein, was hast du alles für mich getan und was bin ich für ein toller Bursche!" Mario Adorf im Bunte-Interview "Das wirst du doch hoffentlich nicht drucken lassen? Ich habe mein Privatleben immer für mich behalten, und jetzt sollen das Krethi und Plethi lesen?" Alice Adorf zur 1. autobiografischen Erzählung ihres Sohnes

Autorenportrait

Der Schauspieler und Schriftsteller Mario Adorf wurde 1930 in Zürich geboren. Er verbrachte seine Kindheit und Jugend in Mayen bei Koblenz und studierte später Philologie und Theaterwissenschaften. Von 1953 bis 1955 besuchte er die Otto-Falckenberg-Schule

Leseprobe

Nach dem Tod meiner Mutter im Februar 1998 stand ich vor der Aufgabe, ihr Haus in München-Grünwald zu verkaufen und den Haushalt aufzulösen. Eine traurige Beschäftigung, die Entscheidungen verlangt: wegwerfen oder aufbewahren, verschenken oder entsorgen - entsorgen! Auch eines dieser schrecklichen modischen Wörter. Nicht daß es unzutreffend wäre, im Gegenteil, es ist von einer grausamen Genauigkeit: sich einer Sorge zu entledigen könnte mit einem Wort nicht zutreffender ausgedrückt werden. Aber es ist mehr als eine Sorge, die bei der Auflösung eines Haushalts waltet, vor allem, wenn es sich um die ganz intimen Gegenstände handelt, die sich im langen Leben eines vertrauten Menschen angesammelt haben. Da ich diese Arbeit nicht allein bewältigen konnte, sondern auf Hilfe angewiesen war, erledigte sich ein Teil der Aufgabe von selbst. Viele Dinge verschwanden einfach, und ich stellte erst später fest, daß sie fehlten, kleine, an sich eher wertlose Überbleibsel, von denen der Helfende nicht wissen konnte, daß sie eine persönliche Bedeutung hatten. Das einfachste dabei war das Beseitigen, das Wegwerfen des ganz offensichtlich Nutzlosen, Abgenützten, wie alte Sitzmöbel, fleckige Matratzen, ausgetretene Schuhe oder verfallene Medikamente. Dann gab es viele Dinge, die man nicht wegwerfen oder weggeben kann. Gegenstände, die nur einem selbst wichtig sind: Fotos, alte Pässe, Briefe, Postkarten, Adressen, Todesanzeigen lieber Menschen, Eintrittskarten zu unvergeßlichen Theaterabenden. Die geretteten Erinnerungsstücke füllen ein paar Kartons, werden mitgenommen, in einem Keller oder auf einem Speicher gelagert, vielleicht sogar irgendwann geordnet und eine Zeitlang in Ehren gehalten, und dann werden sie eines Tages, wenn die Auflösung einen selbst betreffen wird, von anderen weggeworfen oder, wer weiß, aufbewahrt werden. Seit nunmehr sieben Jahren steht ein etwas mehr Raum beanspruchender Gegenstand in meinem Keller, der einen besseren Platz durchaus verdient hätte, obgleich mir einige Male geraten wurde, das alte Ding doch wegzuwerfen. Ich spreche von der alten Nähmaschine meiner Mutter, die gewiß nutzlos geworden ist und die ich dennoch nicht »entsorgen« könnte. Es käme mir vor, als würde man ein altes, verdientes Pferd stracks dem Schinder überlassen, anstatt ihm sein Gnadenbrot zu gönnen. Denn für meine Mutter war diese Nähmaschine das Werkzeug ihres Lebens, sie schien mir über Jahrzehnte fast wie ein Teil ihres Körpers. Sie war der Gaul, der uns über die ganzen Jahre am Leben erhielt, von den geschundenen Beinen meiner Mutter angetrieben und mit ihren geschickten Händen gelenkt. Nie hatte sie später die Anschaffung einer elektrisch angetriebenen Maschine auch nur in Erwägung gezogen, die ihr zu mechanisch gewesen wäre, zu unsensibel, keiner vorsichtigen Stichführung fähig. Ich erinnere mich jenes Weihnachtsfests 1939, sehe meine Mutter, wie sie mir die Nähmaschine zum ersten Mal zeigt. Versenkbar, das erschien ihr damals als das Besondere, und sie zeigte mir auch, wie man die Maschine in dem dunkel gebeizten Gehäuse aus Eichenholz zum sich Ausruhen verschwinden läßt. Aber seit damals bis zu ihrem Tod, also fast 60 Jahre lang, habe ich sie niemals wieder versenkt gesehen, und längst fehlt das schmale Brett, das die hinuntergeklappte Maschine verdecken soll, und läßt eine häßliche Lücke, durch die man in dem Gehäuse die gekippte Maschine auf der Seite liegen sieht wie eine tote Katze. Wie alt, zerkratzt und stumm erscheint sie mir nun. Aber dann, auf einmal, sehe ich wieder die wippenden Füße meiner Mutter auf dem Pedal, höre das Schnurren oder das schnellere Rattern, das Langsamwerden, das Anhalten, das Schnippen der Schere, die die Fäden trennt, dann das leise Ächzen meiner Mutter, wenn sie sich kurz aufrichtet, durchatmet, wieder den Hebel löst, der den stählernen Preßfuß auf den Stoff senkt, und wie sie mit der rechten Hand die Maschine durch ein leichtes Anwerfen des Schwungrades wieder in Gang bringt. Und mir sc Leseprobe