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Voodoo

Götter, Zauber, Rituale, Marbuelis Sachbuch 4

Erschienen am 06.05.2020, 1. Auflage 2020
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783944488431
Sprache: Deutsch
Umfang: 204 S.
Format (T/L/B): 1.7 x 22.1 x 14 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Die heute in der westlichen Welt vorherrschenden Bilder vom Voodookult sind überwiegend durch schrille Kinofilme geprägt. Wer "Voodoo" hört, denkt an hohläugige Zombies und skrupellose Zauberer, die bei Vollmond schwarze Hühner schlachten und fingergroße Puppen mit Nadeln durchbohren. Darüber hinaus bringt der durchschnittlich informierte Europäer den Voodookult allenfalls noch mit Versammlungen ekstatischer Kultanhänger in Verbindung, die in ritueller Trance zu hypnotischen Trommelrhythmen tanzen und den Eindruck erwecken, einer Massenpsychose anheimgefallen zu sein. Insgesamt dürfte hierzulande die Überzeugung vorherrschen, dass Voodoo eine Art Satanskult sei, in dem die Mächte der Finsternis beschworen würden, um arglose Mitmenschen bis ins Grab hinein zu terrorisieren. Solche Zerrbilder werden dadurch begünstigt, dass rituelle Besessenheit im Voodoo tatsächlich eine zentrale Rolle spielt: Gottheiten des Kultes dringen in den Betreffenden ein und ergreifen vorübergehend Besitz von ihm. Besessen aber kann man nach christlicher Anschauung einzig von Satan und seinen höllischen Heerscharen sein - womit abermals bewiesen scheint, dass es sich beim Voodoo um einen verabscheuungswürdigen Teufelskult handeln müsse. Diese Einschätzung ist jedoch von der Wirklichkeit des haitianischen Voodoo weit entfernt. Seiner Herkunft nach ist der haitianische Voodooismus eine Sklavenreligion, gefügt aus kulturellen Trümmern, aus bruchstückhafter Erinnerung an Götter, Gebete und Rituale, die mit den Sklaven aus Dahome, Kongo oder Nigeria in die Neue Welt verschleppt worden waren. In diesem Buch wird das religionspsychologische Phänomen der "Besessenheit durch Götter" erklärt und die Geschichte des Voodoo in großem Bogen erzählt: von den Anfängen im afrikanischen Vodun-Kult über die Versklavung der westafrikanischen Völker und ihre Verschleppung nach Hispaniola, die Entstehung des Voodoo und dessen Funktion bei den großen Sklavenaufständen, die schließlich zur Entmachtung der weißen Kolonialherren und zur unabhängigen Republik Haiti führten. Der Autor stellt die Loas (Götter, Engel, Dämonen) des Voodoo vor, schildert die Zeremonien und Rituale des faszinierenden Kults und bietet schließlich auch eine kurze Einführung in die weiße und schwarze Magie des Voodoo.

Autorenportrait

Andreas Gößling, 1958 in Gelnhausen geboren, hat Germanistik, Politikwissenschaft und Publizistik studiert und 1984 mit einer Dissertation über Thomas Bernhards Prosa promoviert. Seit Mitte der 1980er-Jahre hat er zahlreiche Bücher veröffentlicht, darunter literaturwissenschaftliche Werke, kultur- und mythengeschichtliche Sachbücher und Romane für Erwachsene, Jugendliche und Kinder. Andreas Gößling hat einen Sohn und lebt als freier Autor mit seiner Frau Anne Löhr-Gößling bei Berlin.

Leseprobe

Sehnsucht nach Guinea: die Götterwelt des Voodoo Die Gräuelbilder vom meuchelmörderischen und sogar kannibalistischen Voodookult sind weit älter als die heutigen Zombies aus Zelluloid. Seiner Herkunft nach ist der haitianische Voodooismus eine Sklavenreligion, gefügt aus kulturellen Trümmern, aus bruchstückhafter Erinnerung an Götter, Gebete und Rituale, die mit den Sklaven aus Dahome, Kongo oder Nigeria in die Neue Welt verschleppt worden waren. Die erste Schiffsladung Sklaven traf bereits Anfang des 16. Jahrhunderts an der Küste Haitis ein - wenige Jahre, nachdem Kolumbus Amerika 'entdeckt' hatte. Nahezu industrielle Ausmaße aber nahm die Verschleppung der Afrikaner ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts an. Der offizielle Vorwand für dieses hunderttausendfache Unrecht lautete, dass man die Sklaven zum Christentum bekehren und mit den Segnungen der weißen Zivilisation vertraut machen müsse. Die Wirklichkeit jedoch sah anders aus: In Massentaufen wurden die Schwarzen von katholischen Priestern flüchtig mit Weihwasser besprengt und anschließend auf Zuckerplantagen und in die Goldminen getrieben. Dort kamen sie zu Zehntausenden unter der Peitsche zu Tode oder starben an Hunger, Elend, Krankheit, Unterernährung - glücklicherweise aber mit der Aussicht auf ein ewiges Leben im Jenseits des weißen Mannes. Mit der organisierten Gewalt gegen die schwarzen Sklaven wuchs jedoch auch die Angst ihrer Peiniger vor der Rache der Entrechteten. Um ihr Gewissen zu beschwichtigen, verteufelten die christlichen Herren ihre 'heidnischen' Opfer als Satansbrut, die keine bessere Behandlung verdient habe. So entstanden die ersten abergläubischen Legenden und von Hysterie genährten Gerüchte um teuflische Praktiken der Voodooisten, die beispielsweise weiße Kinder entführten und den gesottenen Leichnam rituell verzehrten. Währenddessen versuchten die Priester und Adligen, die in beträchtlicher Zahl aus den afrikanischen Königreichen verschleppt worden waren, aus den überlieferten Bruchstücken einen religiösen Ritus zu fügen, der Bedürfnissen und Gewohnheiten aller bunt zusammengewürfelten Volksgruppen entsprach. Weit bedeutsamer als kulturelle Unterschiede in der Bezeichnung, Anrufung oder Verehrung einzelner Götter war das allen gemeinsame überwältigende Gefühl der Entwurzelung und des Verlustes. Das Paradies des Voodoo, die Sphäre der Götter, Engel und unsterblichen Ahnen, wohin jede Seele nach dem Tod zurückkehrt, ähnelt daher weder dem christlichen Jenseits noch der Hölle Satans, dem die Voodooisten angeblich huldigten. Seine Urbilder sind vielmehr die verlorene Heimat der Verschleppten, bald schon mythisch entrückte afrikanische Königreiche namens 'Dahome' oder 'Guinée'. Die Insel unter dem Meer Im folgenden Kapitel komme ich noch ausführlich auf die Geschichte des haitianischen Voodoo zu sprechen - einschließlich seiner Abgrenzung von den autochthonen Vodunkulten im heutigen Benin wie auch von den afroamerikanischen Rudimenten des Voodoo, die etwa in der Gegend von New Orleans unter dem Namen Hoodoo bekannt sind. An dieser Stelle geht es vor allem um eine erste Annäherung an das Jenseitskonzept des haitianischen Voodooismus und die Beziehungen zwischen den Welten, wie diese Religion sie lehrt und in ihren Riten umzusetzen sucht. Das mythische 'Dahome' oder 'Guinée' des Voodoo, Gegenstand ritualisierter Anrufungen während der Zeremonien, hat sich von den realen afrikanischen Landschaften namens Guinea oder Dahome (im heutigen Benin) vollständig abgelöst. Gewiss trifft es zu, dass etliche der wichtigsten Gottheiten des Voodoo ursprünglich aus einstigen Königreichen Afrikas stammen, aus denen sie gleichsam in den Köpfen der Versklavten mit verschleppt wurden. Aber im Verlauf der Jahrhunderte haben auch sie sich, ebenso wie Kultur und Menschen Haitis, so sehr gewandelt, dass die Unterschiede heute in mancherlei Hinsicht schwerer wiegen als verbliebene Gemeinsamkeiten mit den alten afrikanischen Stammesgöttern. Wenn also im Voodooismus