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Sprich mir vor, Angelina!

Fünf Poeme

Erschienen am 25.08.2018
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783935597920
Sprache: Deutsch
Umfang: 248 S.
Format (T/L/B): 2.2 x 22.6 x 16.3 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Die ausgewählten Poeme erzählen fragmentarisch ein Dichterleben, eingefangen in der Beengtheit von Zeit und Raum und allgegenwärtigen Geboten und Verboten. Der Blick geht zurück in eine unschuldige wie aufsässige Jugend, die ersten sexuellen Erfahrungen, die Suche nach dem eigenen Platz zwischen Dorf und großer Stadt, den Banalitäten des Alltags und der großen Bühne. Die Natur durchbricht wie eine bläkende Kuh die stille Reflexion, der Tod durchschreitet als skurriler Geselle die Szenerie und jeder Ruhm zerfällt zu Staub. In Kharanaulis Dichtung treffen Detailbesessenheit und das Denken in Jahrhundertschritten, subtile Erotik und derber Spott zusammen und machen die Lektüre zu einem lang nachhallenden Erlebnis.

Autorenportrait

Besik Kharanauli (geb. 1939), gilt als der Nestor der georgischen Lyrik. der tief aus der lyrischen Tradition schöpft, Aufgrund seines Schreibens im freien Vers wurde er mit Walt Whitman und Ezra Pound verglichen. 2015 war er für den Literaturnobelpreis nominiert.

Leseprobe

Jene Bühne gibt es nicht mehr, jene Mauer steht nicht mehr, die hundertjährige aus Kalk und Stein, weder den Souffleurkasten, noch auch die Souffleuse. Nur ferne noch Erinnerungen, denen eine kleine Scherbe haushoch überlegen ist, denn aus noch so süßen Träumen holt uns die kleinste Wirklichkeitsberührung augenblicklich rück. Angelina aber hat unser Dorf verlassen, weil ein junger Mann, der das Theater liebte und berühmt für Heldenrollen war, sich mitten auf der Bühne, blind vor Liebe, den Dolch ins Herz stieß und sterbend der Souffleuse in die Augen sah. Die Souffleuse aber (Wir wollen ihren Namen nicht zu häufig nennen, damit wir ihn hier nicht zerfetzen, und außerdem, weil er schon bald mit Bitternis genannt sein wird), sie, die das Drama nicht so sehr empfand, weil doch die Sache mit dem Dolch in ihrem Textbuch stand, wenn auch von Blut dort keine Rede war, sie zog es vor, noch abzuwarten, weil sie fühlte, dass die Pause die Mienen rings im Saal erhellte wie ein Flammenschein. Doch schleppte sich der Mime, eh der Vorhang fiel, zum Kasten der Soffleuse, bot sich dar, und damit er nun ihr schönes Angesicht nicht allzu sehr von Leid zerrissen sah, flehte er sie kläglich an: Sprich mir vor, Angelina! Doch weil die alte Nonchalance das mondende Gesicht der Frau beschien, wollte auch er nun nichts mehr anderes sehn, er schloss die Augen und war wirklich tot. So ging uns die Souffleuse ab, die jahrelang mit Nonchalance den Stürmen auf der Bühne zusah, und wenn die Welt dort unterging, so hätte sie nur höflich nachgefragt, was los sei.

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