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Wie viel Musik braucht der Mensch?

Über Oper und Komponisten

Erschienen am 24.08.2009, 1. Auflage 2009
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783570580059
Sprache: Deutsch
Umfang: 256 S., 3 s/w Illustr., mit 12 S. Farbbildteil
Format (T/L/B): 2.6 x 22 x 14.2 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

'>Komm in's Offene, Freund!<, rief der schwärmerische Hölderlin. Hans Neuenfels geht mit seinen ergreifenden Texten zur Musik ganz tief ins Innere.' Elke Heidenreich Hans Neuenfels ist nicht nur das "enfant terrible" der deutschen Opernregie, dessen Inszenierungen regelmäßig heftige Kontroversen hervorrufen, er war auch immer schriftstellerisch tätig. So entstanden Gedichte, Libretti, Erzählungen und ein Roman. In den vorliegenden Texten setzt er sich mit Komponisten und Opern auf eine ganz persönliche und unverwechselbare Weise auseinander. Er nähert sich ihnen an, umkreist sie und träumt sich etwa in Giuseppe Verdi, Wolfgang Amadeus Mozart, Richard Wagner, Bernd Alois Zimmermann oder Johann Simon Mayr hinein. Dabei sind literarische Miniaturen und Fantasien von enormer sprachlicher Wucht entstanden. Sie sind durchtränkt von der Leidenschaft des großen Theater- und Opernmannes, bieten neue, ungewöhnliche Sichtweisen auf die Komponisten und ihre Werke und tragen zu einem tieferen Verständnis von Neuenfels' Denk- und Arbeitsweise bei. Einer der bedeutendsten und provokantesten Opernregisseure unserer Zeit, mehrfach ausgezeichnet.

Leseprobe

Meine Treffen mit Verdi 1974 inszenierte ich in N?rnberg meine erste Oper, Verdis Der Troubadour. Der Kost?m- und der B?hnenbildner stritten sich ?ber das Aussehen eines Engels, der in der Leonoren-Arie "Der Tod ist mir die gr??e Lust" genau in der Generalpause auftreten sollte. Es gab einen schlaksigen Statisten mit langen Haaren und Nickelbrille. Ihn in einem wei?n knielangen Hemd mit zwei kleinen, gewisserma?n gestutzten Fl?geln - so stellte ich mir den Engel vor. Der Kost?mbildner protestierte am heftigsten. Die Diskussion dauerte sehr lange. Am n?sten Morgen sp?rte ich an der linken Kopfseite einen k?hlen Schmerz. Vor dem Spiegel entdeckte ich eine ungef? f?nfmarkst?ckgro? kahle Stelle in meinem Haar. "Verdis Rache" l?elte der Kost?mbildner erfreut. Es war eine sogenannte Alopecia areata, ein kreisrunder Haarausfall, mit dem schon der Surrealist Roger Vitrac in seinem St?ck Der Coup von Trafalgar seine weibliche Hauptfigur versah. Aber ich war davon ?berzeugt, dass Verdi sich keinesfalls an mir r?en wollte, und bestand auf meiner Idee. Die Alopecia verschwand. 1981 wiederholte ich den Auftritt des Engels in Die Macht des Schicksals. Die wunderbare S?erin Julia Varady geriet wegen meines Einfalls v?llig aus dem H?chen. Ich sp?rte ein heftiges Stechen in der linken Kopfseite, doch nach einigen harten Tagen - w?rde die Varady singen?, w?rde die Alopecia ausbrechen? - entschloss sich die S?erin, Freundschaft mit dem Engel zu schlie?n. Meine Kopfschmerzen verschwanden, und es wurde ein gro?r Triumph. Die Anekdoten, die meine Verdi-Inszenierungen begleiteten, umspielen in Verdi einen Mann, der scheinbar dazu nicht den geringsten Anlass bietet, der fast feindlich jeden Einblick in sein Privatleben verwehrte, nie aber aus seinen intimen und gesellschaftlichen Ansichten ein Hehl machte, jede staatliche Belobigung bis auf eine - und das war ein Missverst?nis - ablehnte und erst, als seine Verbindung mit der S?erin Giuseppina Strepponi im St?chen Busseto zum qu?nden Tagesgespr? wurde, mit ihr nach Paris zog, und zwar in die Rue Fontaine-St.-Georges 24, wie die Spitzel berichteten. Man trifft im Leben, wenn man Gl?ck hat, einige Lebende, die das Leben lebenswert machen. Doch glaube ich, die Zahl der Toten ist ungleich gr??r. Deswegen habe ich zu der Musik von Adriana H?lszky ein Libretto geschrieben. Giuseppe e Sylvia hei? die Oper, die das Leben der Toten zum Thema hat, wobei mit Giuseppe Giuseppe Verdi gemeint ist. Dass Verdi mir eines Tages erschienen ist, ist ebenso nat?rlich, wie anderen Elvis Presley, John Lennon oder die Heilige Jungfrau Maria erscheinen. Aber warum gerade Verdi? Warum zum Beispiel nicht Ferruccio Busoni? W?end ich seinen Faust inszenierte, identifizierte ich mich v?llig mit dem Komponisten. Ich spazierte am Mainufer in einem langen schwarzen Mantel herum, auf einen Stock gest?tzt, und rief unserem Hund zu, der Eugen hie? "Giotto, komm zu Papa", weil Busoni es so mit seinem Bernhardiner getan hatte. Aber der Komponist erschien mir nicht, und nach der Inszenierung verschenkte ich Mantel und Stock und nannte den ratlosen Hund wieder Eugen. Meine erste Begegnung mit Verdi fand statt, als ich beschlossen hatte, die Pappel f?en zu lassen, die vor unserem kleinen Haus in den Alpen steht. Es war ein Sommer, in dem man sich ausnahmsweise nicht nach dem S?den sehnte. "Tun Sie es nicht, wenn ich Ihnen raten darf", sagte Verdi und lehnte sich an den Stamm, "sie zieht das Wasser aus dem sumpfigen Boden, und ihre Wurzeln sind so weit ver?elt, dass Sie nicht alle erwischen. Sie werden sich weiterverzweigen und da und dort als kraftlose Triebe ausbrechen. Stutzen Sie sie lieber, das aber Jahr f?r Jahr. Werden Sie ihrer Herr." Sein Ton war von freundlicher Autorit? falls es dergleichen gibt, und ich gehorchte, denn er kannte sich ja aus, der Bauer aus Roncole. Sp?r, als wir unter dem Baum sa?n, ich etwas Wein getrunken hatte, wagte ich zu bemerken, dass ich nie in seiner Musik das Repr?ntative, das Ornamentale empfun