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Verlockung

Roman, btb-TB 73510

Erschienen am 02.05.2007
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783442735105
Sprache: Deutsch
Umfang: 816 S.
Format (T/L/B): 4.5 x 18.8 x 11.8 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

"Ein unglaubliches Buch!" Elke Heidenreich in Lesen! "Der ungarische Drehbuchautor [...] hat mit 'Verlockung' einen wirklich großen Roman geschrieben, der alles vereint: erzählerische Kraft, Sozialgeschichte, Witz, Wut, Trauer, Liebe und Idealismus." Brigitte "Man kann das Buch als wunderbares Genrestück lesen, in der Oliver-Twist und Felix-Krull-Tradition." Süddeutsche Zeitung

Autorenportrait

János Székely (sprich Sekäij), geboren 1901 in Budapest, kam auf der Flucht vor dem Horthy-Regime als Achtzehnjähriger nach Berlin. Er verfasste zahlreiche Drehbücher für Stummfilmstars wie Brigitte Helm, Willy Fritsch, Marlene Dietrich, Emil Jannings. 19

Leseprobe

Mein Leben begann wie ein Kriminalschmöker: Man wollte mich ermorden. Glücklicherweise wurde dieser Plan fünf Monate vor meiner Geburt gefaßt, und so hat er mich kaum sonderlich erschüttert. Dabei hätte ich, falls es zutrifft, was man sich im Dorf erzählt, guten Grund zur Aufregung gehabt. Es war wirklich reiner Zufall, daß ich nicht umgebracht wurde, noch bevor sich diese fünf Finger, mit denen ich jetzt die Feder halte, zu Fingern auswachsen konnten. Meine Mutter war damals sechzehn Jahre alt, und wenn mich nicht alles täuscht, verlangten weder ihr Körper noch ihre Seele danach, daß ich sie einmal Mutter nannte. Zugegeben, kein sechzehnjähriges lediges Mädchen sehnt sich gemeinhin nach dieser Würde, aber was meine Mutter anstellte, das war, nach allem, was mir zu Ohren gekommen ist, ausgesprochen krankhaft. Als wäre der Teufel in sie gefahren, so sträubte und wehrte sie sich gegen die Mutterschaft. Sie griff zu den schimpflichsten Mitteln, lief unterdessen jedoch eifrig von einer Kirche zur anderen; bald lag sie auf den Knien und betete, bald wünschte sie alle Heiligen des Himmels zur Hölle; sie tobte und wütete, sie wollte mich nicht zur Welt bringen, bei Gott, nein, sie wollte es nicht. 'Wenn ich den Vater, diesen Lumpen, wenigstens lieben würde', sagte sie immer wieder. 'Aber ich hab ihn nur ein einziges Mal in meinem Leben gesehen, ich weiß nicht mal, wo in der Welt ihn der Teufel holt.' Und so war es in der Tat. Sie hatte Mihály T. am Peter-und-Pauls-Tag kennengelernt, war ihm vorher nie begegnet und danach auch nicht mehr; trotzdem geschah das Malheur. Dabei gehörte meine Mutter durchaus nicht zu jenen mannstollen Frauenzimmern, die sich mit jedem einlassen, wenn er nur Hosen trägt. Ich will die Sache nicht etwa beschönigen, vielmehr halte ich mich an den Bericht einer Frau aus unserem Dorf, einer gewissen Tante Rozika, von der noch die Rede sein wird. Nach ihren Worten war die 'arme Anna' um nichts schlechter als die anderen jungen Dinger im Dorf. Sie war ein stilles, blitzsauberes, hübsches Mädchen mit weißer Haut und schwarzem Haar. Ich selbst erinnere mich am deutlichsten an ihre Augen. Es waren kleine, eigenartig tiefliegende schwarze Augen, mißtrauische, immer ein wenig demütige Bauernaugen, die stechend und doch mit einer uralten Schwermut in die Welt blickten. Sie wohnte bei ihrer Stiefmutter; der Vater war früh gestorben, die Mutter hatte sie überhaupt nicht gekannt. Die Familie war bettelarm. Anna arbeitete als Magd und mußte schon mit fünfzehn Jahren vom frühen Morgen bis in die späte Nacht auf den Feldern des Grafen schuften. Kurzum, das bißchen Gratisvergnügen war ihr zu gönnen, das den Bauern am Peter-und-Pauls-Tag zuteil wurde, und dabei lernte sie dann auch Mihály T. kennen. Dieser Mihály war ein berühmter Mann, die Mädchen nannten ihn unter sich nur den schönen Miska. Er stammte aus dem Dorf, lebte jedoch seit mehr als zehn Jahren in der Fremde. Heißblütig und abenteuerlustig, wie er war, hatte er schon als Halbwüchsiger das Weite gesucht, und seither waren die sonderbarsten Gerüchte über ihn im Umlauf. Es hieß, er sei Schiffskapitän geworden, dann wieder, er mache als Pirat die Meere unsicher. In Wirklichkeit war er weder Kapitän noch Pirat, sondern Matrose auf einem Frachter, aber damit hatte er es in den Augen der Bauern schon sehr weit gebracht. Nun hatte sich der schöne Miska also nach zehnjähriger Abwesenheit eingefunden, um dem Dorf vorzuführen, was aus ihm geworden war. Er hatte sich piekfein gemacht, zwischen seinen starken weißen Zähnen steckte eine echte englische Pfeife, und den verwegen aufs Ohr gedrückten grünen Hut hatte er, wie er jedermann gern zeigte, in Buenos Aires erstanden. Er war ein großmäuliger, bullenstarker Bursche, ein Prahlhans, Raufbold und Herzensbrecher. Wie ein Pfau stolzierte er durchs Dorf, und fast jeden Abend sah man ihn mit einem anderen Mädchen auf einen Heuschober zusteuern. Anna kannte den schönen Miska nicht, hatte jedoch um so mehr von ihm gehört. Leseprobe

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